Tagebuch des Aberglaubens
- fabianspeckmann
- 3. Juni 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Juni 2023
Der Tag beginnt schon mies. Ich fühle mich gerädert. Hätte keinen Sport machen sollen. Verdammt. Egal, heute ist Spieltag, da zählen die eigenen Maleschen natürlich nicht. Wie soll man von den Jungs Leistung verlangen, wenn man selbst nur jammert. Nicht mit mir.
Tja und dann ist da dieser Moment im Bad und du weißt, es kann nichts werden.
Ein Druck auf die Zahnpastatube reicht schon. Grün-Weiß? Träum ich noch oder was? Hier spielt mir doch jemand einen bösen Streich. Zahnpasta hat Blau zu sein. Blau-Weiß im Idealfall. So wie meine Zahnbürste. Natürlich. Als ob ich das wirklich erwähnen müsste.
Aber nein, das Zeug hier hat eindeutig die Farbgebung, die allenfalls noch Fans aus einer vorgelagerten Hansestadt begeistern könnte. Vermutlich bin ich noch nicht wach. Meine Brille habe ich auch noch nicht auf. Grün-Weiß. Albern. Das kann nicht sein. So derbe Streiche würde mir nichtmal meine bessere Hälfte spielen oder doch?
Brille auf der Nase. Verdammt. Das Zeug ist wirklich grün-weiß. Suche in der Reisetasche echte Zahncreme und drücke die neue Tube in den Mülleimer. Wo kommen wir hin, wenn ich so etwas durchgehen lasse?
Bin jetzt etwas beruhigter und spiele sogar mit dem Gedanken, zum Frühstück Müsli zu essen. Gut, nur kurz. Ist ja auch unsinnig. Am Spieltag muss ich gestärkt ins Stadion radeln können. Beim Biss ins Brötchen beobachte ich heimlich meine bessere Hälfte. Grinst sie schelmisch oder bilde ich mir das ein?
Egal, schnell etwas Rührei, die dritte Tasse Kaffee, und mit einem deutlichen Hinweis, dass ich mir jetzt mit der richtigen Zahlpasta die Kauleiste nochmal wienern werde, geht es ins Bad. Sie grinst. Ganz sicher.
Nicht ablenken lassen, gleich wird angepfiffen. Gut, gleich heißt in etwa viereinhalb Stunden. 13 Uhr. Ob das gut für uns ist? Ich überlege, ob ich noch schnell prüfen muss, wie wir sonst um diese Zeit gespielt haben, verwerfe aber den Gedanken, weil das Ergebnis mich nervös machen könnte.
Drei Punkte müssen her. Egal wie. Ob jemand Jemanden kennt, die, der oder was auch immer sich mit Bierverschütten auskennt? Im Abstiegskampf muss man alle Register in Betracht ziehen. Wobei, nee, das ist wohl doch drüber.
Ob ich schon losradeln sollte? Das Stadion macht ja bald auf. Sie schüttelt fast schon mitleidig den Kopf. Warum habe ich nur das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden? Egal. Warte nur, bis Du auf die Zahnpastatube drückst.
Tigere nervös durchs Haus. Gleich fahre ich los, soll sie doch denken was sie will.
Meine Prioritäten sind ohnehin andere. Was soll ich anziehen? Sicher, den Glückspulli. Die Glückschuhe, logisch. Alles liegt parat? Wirklich alles? Nein, verdammt. Eben nicht alles. Da war dieser Schockmoment am Freitag. Die Lieblingsjeans. Die, die ich beim letzten Heimsieg getragen habe. Die Graue. Kaputt. Aufgerissen. Durchgeschlissen. Es muss ein Materialfehler sein. Die war doch fast neu. Und teuer. Sie war aber zuerst der Glücksbringer.
Ich bin natürlich der Meinung, das könne man flicken. Sie allerdings argumentiert ganz trocken, ich solle mich nicht lächerlich machen. Als ob meine Hose etwas mit dem Ausgang des Spiels zu tun hätte.
Natürlich! Ich verstehe so einen Satz überhaupt nicht. Alles muss passen. Im Abstiegskampf, ach grundsätzlich. Man darf beim Fußball nichts dem Zufall überlassen. Warum sind wir wohl aufgestiegen? Na? Wie, weil wir mehr Tore geschossen haben? Also echt, natürlich haben wir mehr Tore geschossen. Aber ich hatte auch die graue Jeans an.
Nein, ich habe nicht mitgespielt. Blöder Hinweis. Wobei, gedanklich war ich schon am Ball. Sogar beeindruckend filigran. Gedanklich reicht oft. Beschäftige Dich mal mit so etwas. Glaube, Berge und so. Alles muss man erklären. Sinnlos.
Was ziehe ich an? Die blaue Jeans? Ich weiß nicht. Die kurze Hose. Ja, das könnte passen. Hatte ich beim Relegationsrückspiel nicht auch eine kurze Hose an. Die kurze Hose. Genau. Gute Idee.
Ich greife gerade in den Schrank, da steckt sie den Kopf durch die Tür und fragt trocken: „Die Hose willst Du anziehen? Dein Ernst?“ „Ja, warum?“ „Weil es kalt ist.“ „Ach, lächerlich. Wir sind Norddeutsche. Es sind Plusgrade. Längst Wetter für kurze Hosen. Außerdem hatte ich die Hose beim Aufstieg an.“ Das, liebe Frau, ist ein Argument, welches Du kaum widerlegen kannst. Denkste. Kann sie doch. Ganz trocken. „Das Rückspiel haben wir verloren.“ Verdammt!
Panik macht sich breit. Ich habe nichts anzuziehen, jaule ich fast schon weinerlich und spüre eine echte Angstattacke. Keine Glückshose und gleich wird angepfiffen. Gut, nicht wirklich gleich, aber fast. „Was soll ich machen?“
„Bleib doch zuhause, wir haben Magenta und ich schreibe Dir auch, wie das Spiel ist“, sagt sie und dreht sich lachend um.
Was habe ich dieser Frau getan, dass sie so mit mir umgeht? Ich ziehe die neue graue Hose an. Die mit dem kleinen Muster. Nicht Jeans, nicht Chino. Das könnte passen. Wobei, die hatte ich in Essen an. Nur ein Punkt. Das reicht heute nicht. In meiner Brust zieht sich alles zusammen. Dieser Druck ist doch unmenschlich. Sie schaut wieder rein. „Du hast ernsthaft noch keine Hose gefunden? Da hängen 20 Hosen im Schrank, zieh‘ halt eine an.“
Ich schüttle verständnislos den Kopf. Wie ignorant muss man sein, um die Wichtigkeit der richtigen Kleidung nicht erkennen zu wollen? Mach so weiter und ich verstecke Deine Dauerkarte, denke ich mir. „Nimm halt die neue Jeans“, sagt sie und schüttelt jetzt fast schon streng den Kopf.
Wie, die Neue? Bist Du irre? „Sicher und dann verlieren wir und ich kann die neue Hose direkt wegschmeißen.“
„Dann bleib halt zuhause.“
Ich greife zur Glücksjeans. So groß ist doch Riss – ratsch. Jetzt schon. Verdammt. Wenige Stunden später werde ich wissen, dass ich die Zeichen hätte deuten sollen. Zahnpasta. Glücksjeans. Es war doch deutlich. Aber nein. Ich Trottel greife mir eine graue Chino. Immerhin die Farbe stimmt fast. Das kann reichen. Hier wäre der Konjunktiv nötig. Es hätte reichen können. Wenn da nicht, aber dazu später mehr. Ich muss noch in den Keller, die Zahnpastareserven überprüfen.

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